Er ist wieder da“

Wer ist wieder da? Drei „Schachkalender 2016“ zu gewinnen

Nun viel Spaß beim Knobeln:

Ich erinnere mich, ich bin erwacht. Es dürfte früher Nachmittag gewesen sein. Ich öffnete meine Augen, ich sah über mir den Himmel. Er war blau, leicht bewölkt, es war warm und mir war sofort klar, dass es für Februar viel zu warm war. Man konnte es fast heiß nennen. Immerhin war es ruhig, sehr ruhig. Mit Grausen erinnerte ich mich kurz an das Geschrei und Gejohle des Nazi-Gesindels, das dieser Hitler unlängst wieder inszenierte. Wo sollte das mit seinen – das war jedem aufrechten Deutschen kristallklar – geistig umnachteten Schergen enden? Andererseits sah es hier in München heute besonders gepflegt aus! Ich hob den Kopf. Was war passiert? Ich lag im Gras – obwohl ich sonst nicht unter freiem Himmel zu kampieren pflege. Ich überlegte: Was hatte ich am Vorabend getan? Über unmäßigen Alkoholkonsum brauchte ich mir keine Gedanken zu machen, ich trinke ja nicht. Doch bevor sich die Nebelschwaden aus meinem Kopf verzogen und ich mich exakt erinnerte, was am 16. Februar 1934 geschah, erschraken meine Augen! Zwei ältere Individuen weiblichen Geschlechts stapften eilig an mir vorüber – in kurzen, äußerst eng geschnittenen Miedern, deren Farbe – ein grelles Rosa - jegliches Bonbon beleidigt hätte. Mein erster Gedanke an eine offene Irrenanstalt bestätigte sich durch zwei Paar Stöcke, die die beiden Schabracken während des Laufens emsig bewegten. Angeschnallte Skilatten waren unterhalb ihrer krummen Gebeine nicht zu entdecken – es wäre ja noch unsinniger geworden in dieser offenen Irrenanstalt, weil kein Schnee lag, wie ich mich mit einem Blick auf den Rasen und die blühenden Pflanzen um mich herum noch einmal irritiert versicherte. Eine der beiden schwer atmenden Alten kicherte in sich hinein und murmelte zwischen drei Stockschlägen: „Schau, der alte Typ dort: Sieht aus wie aus einem Film aus den 20er Jahren! Und erst die Brille und der Vollbart – das wird doch hoffentlich nicht mehr in!“

Auch wenn die zwei Verrückten mir ein unentwirrbares Rätsel blieben, schaute ich instinktiv an mir herab: Ich war gepflegt wie stets – allein mein Wams war etwas zerknittert, was aber sicher der ungewöhnlichen Bodenlage geschuldet war. Ich erhob mich etwas steif und entdeckte beim Schütteln meines Hauptes in der Ferne ein Gartenschach! In dieser Anstalt wurde offensichtlich auch an die Kurzweil der Patienten gedacht. Gemäßigten Schrittes folgte ich der Richtung, in die auch die zwei Skifahrerinnen, die nicht alle Latten am Zaun hatten, rasch entschwanden. Ein Straßenschild zeigte unter den gewaltigen Bäumen die „Lichtentaler Allee“ an. War ich doch außerhalb eines Nervenheilzentrums? Womöglich, angesichts der überquellenden Natur, im Englischen Garten? Aber eine „Lichtentaler Allee“ war mir dort noch nie gewahr geworden. Angelangt an dem Gartenschach sah ich zwei tumbe Russen, die zwar mit Leidenschaft, aber stümperhaft die großen Figuren umherschoben. Offensichtlich hatten sie die Übersetzungen meiner Standardwerke „Dreihundert Schachpartien“ und „Die moderne Schachpartie“ nicht genossen. Diese Russen würden es niemals zu etwas bringen im Weltschach, nachdem Aljechin fahnenflüchtig geworden war! Und seit die Bolschewiken statt des Zaren am Ruder waren, durfte man getrost vom geistigen Zerfall des Proletariats ausgehen. Mich schüttelte es vor Abscheu ob des weiteren Patzers auf dem Gartenschach, weshalb ich angewidert meine Blicke erstmals genauer umherschweifen ließ.

Es sah hier alles so anders aus! Gebäude mit bekanntem Stil – aber an anderen war offensichtlich der Beton ausgegangen, weshalb sie fast nur aus Glas bestanden! Zudem warteten lediglich drei Pferdedroschken in der langgezogenen Allee auf Kundschaft, während auf einer Straße noch mehr Autos – merkwürdige, flache, schnelle Autos – als sonst fuhren! Irgendetwas stimmte nicht. Ich ging zu einem Zeitungsstand und wäre dabei beim Queren der Straße von einem völlig lautlosen Vehikel überrollt werden, dessen ich nicht gewahr wurde. Der Fahrer kurbelte – oder ließ anscheinend von einem anderen Insassen kurbeln, weil kein Arm sich bewegte – das Fenster herunter und brüllte: „Penner, kannst Du nicht aufpassen, nur weil ich ein Hybridfahrzeug fahre?“ Ich verstand den aufbrausenden Choleriker nicht: „Penner“ und „Hybridfahrzeug“? Zweifelsohne eine gewaltige Irrenanstalt!

Beim Zeitungskrämer angelangt, schnappte ich mir umgehend die nächstbeste Zeitung: Das Badische Tageblatt hatte ich doch schon früher gelesen! Doch die Bilder waren farbig, wie alle Erzeugnisse farbig waren. Das Datum? 16. Juni 2015? Ich blickte über meinen Brillenrand, weil ich den Druckfehler nicht glauben konnte. 16. Juni 2015! Auf allen anderen Tageserzeugnissen fand sich dasselbe Datum. Das auf Magazinen wich leicht ab, Juni 2015 stand aber überall. Mit der mir innewohnenden herausragenden Logik hatte ich bereits ermittelt, dass ich mich in Baden-Baden befand. Freudige Erinnerung keimte in mir auf. Die Kurstadt! 1925 hatte ich hier das große Turnier organisiert, anknüpfend an das erste legendäre von 1870. Herr Duschl, der Bäderverwalter, war begeistert von meinen Vorschlägen, die drei Turniere für 16500, 10000 oder eines für 7000 Reichsmark umfassten. Das mittlere mit 21 Teilnehmern war es geworden. „Das wird etwas ganz Besonderes“, hatte sich Herr Duschl gefreut und die Lobesarien nach dem vierwöchigen Turnier im Chor mit zahlreichen anderen Honoratioren noch lauter angestimmt. Das Kurhaus war an jedem Turniertag überfüllt, weltweit stieß der Wettbewerb auf großes Echo. Alexander Aljechin trumpfte auf, stand nie schlechter und gewann zwölf Partien und remisierte acht. Er war damit ein furchterregender Rivale für Weltmeister Capablanca. Rubinstein belegte eineinhalb Punkte dahinter Platz zwei. Dass ich nur Platz 17 mit 7,5 Zählern belegte, war natürlich weniger meinem Alter, sondern meinen vielen Aufgaben als Turnierorganisator geschuldet.

Ich muss zum Kurhaus, um nachzusehen, was es mit diesem 2015 auf sich hat. Dort sah es aus wie immer. Die Fassade in schönem Weiß, die Gasleuchter vorne dran. Die hatten mir schon beim Turnier vor neun Jahren 1925 imponiert – oder vor 90 Jahren ... Der Gedanke an das Irrenhaus kam mir wieder. Während die Älteren hocherhobenen Hauptes schritten, liefen die Jüngeren alle mit gesenktem Kopf. Hatte die Jugendarbeitslosigkeit zu Millionen vor allem diesen Teil des deutschen Volkes erfasst und die Jungen alle geknickt? Einige lachten aber auch dumm auf, ohne den Blick auf das kleine Kästchen abgleiten zu lassen. Interessiert erhaschte ich beim nächsten vorbeigehenden bärtigen Herrn, der wenigstens einen Anzug, wenn auch ohne Schlips, trug, das Geschehen auf dessen Kästchen. Ein Schachbrett mit Figuren? Was ist das? „Matt in vier Zügen!“, murmelte der Mann. Ich verfolgte ihn. Nur wenige Meter entfernt vom Kurhaus in der Trinkhalle entdeckte ich das Paradies: Bretter, wohin man schaute! Dahinter junge wie alte Spieler. Meine „Dreihundert Schachpartien“ und das Buch vor drei Jahren, 1931 - oder vor 84 Jahren -, jedenfalls „Das Schachspiel“, hatten doch gesiegt und dank meines segensreichen Wirkens aus Deutschland eine Schachnation gemacht! Mir standen fast die Tränen der Rührung in den Augen.

Hier schien es sich um ein Simultan zu handeln. Mehrere Spieler schritten bei dem „Mannschaftssimultan der OSG Baden-Baden“, wie auf einer Werbetafel zu lesen war, die zwei langen Reihen der Trinkhalle ab. Gott sei Dank entdeckte ich diesen Dummbeutel Lasker nirgends! Der hätte mich nur wieder verdrossen ...

Die komplette Geschichte ist im „Schachkalender 2016“ nachzulesen.

Schachkalender 2016“, Edition Marco, 320 Seiten, 15,80 Euro.